Die Zukunft

2.3.2017

Viele Menschen interesseren sich für die Zukunft, weil sie wissen wollen, was auf sie zu kommt. Manche interessieren sich für die kurzfristigen Aspekte („Werde ich morgen auch etwas zu essen haben?“), manche eher für die langfristigen Aussichten („Wird es irgendwann wieder kälter werden?“).

Die Wenigsten berücksichtigen bei ihren Fragen die wissenschaftlichen Fundamentaldaten zur Vorhersage der Zukunft. So ist durchaus bekannt, wie lange man sich auf der Erde überhaupt noch aufhalten kann, nämlich viereinhalb Miliarden Jahre (4500000000 Jahre). Dann verglüht der Planet Erde in der Supernova der Sonne und außer Asche gibt es nichts mehr auf dem ehemals blauen Himmelskörper in den Weiten des Weltalls.

Zeitreisende wissen um die Gefahren des nahenden Endes. Sie meiden die letzten 10 Millionen Jahre vor der Explosion der Sonne, denn schon lange vorher wird es wegen der Expansion des Sonnenkörpers unerträglich heiß auf der Erde. Leider gibt es keine Berichte aus dieser fernen Zukunft. Dafür gibt es mehrere denkbare Gründe. Zeitreisende könnten bei ihrer Ankunft in einer lebensfeindlichen Umgebung aufgetaucht sein, oder sie könnten das Rückreiseziel verfehlt haben und leben jetzt nur wenige Jahrhunderte in der Zukunft, ohne in der Lage zu sein, ein Botschaft an ihre Lieben in der Vergangenheit zu schicken. Oder sie sind in einer Art Paradies gelandet und verzichteten auf die Rückreise. Liebe kann auch ein Grund sein.

Unzufrieden mit dem Mangel an Informationen aus der Zukunft schuf ich mir eine eigene Möglichkeit, dort nachzusehen. Mit Hilfe der PUSH-PULL-Technik (PPT) gelangen mir im experimentellen Stadium schon einige kleine Hüpfer entlang der Zeitachse. Das Besondere an dieser Technik ist der gesicherte Zustand bei Zielerreichung, das heißt, die Kapselung zum Schutz vor möglicherweise negativen physikalischen Bedingungen am „Landeort“. Landung ist ein völlig unzutreffender Begriff, denn wenn ich „lande“, dann „bin ich da“. Eine Aura umgibt mich, deren Transmissibilität ich selbst steuern kann. Ich kann auch durch vorsichtige Justierung eine Raumnavigation vornehmen. Erst wenn die neuen Verhältnisse akzeptabel sind, setze ich mit einem Gedankenimpuls die Realität ein.

Das Ganze ist ein recht komplexer Vorgang, aber „Übung macht den Meister“. Aber trotz vieler Versuche - aus Sicherheitsgründen im Nahbereich bis plus 500 Jahre - ist es mir zunächst nicht gelungen, die Aurabarriere zu durchbrechen und Kontakt zur Umgebung mitsamt seinen Lebewesen aufzunehmen. Später sollte sich das ändern. Doch der Reihe nach.

Eine der größeren Herausforderungen der PPT ist die Bereitstellung von Energie. Während ich zu Beginn noch einige Autobatterien parallel schloss, um ausreichend starke Stromimpulse erzeugen zu können, reichte das bald nicht mehr aus, denn damit gelangte ich bestenfalls rund 100.000 Jahre in die Zukunft. Immerhin gelang es mir, in diesem geringen Energiebereich die ersten Punkte der Leistung-Zeit-Kennlinie grob zu bestimmen. Durch Extrapolation konnte ich dann die Energiemenge für Großsprünge abschätzen. Dadurch war schnell klar, dass Energiespeicher alleine nicht ausreichen. Ein Generator muss nach der Initialzündung koninuierlich Energie liefern und dabei auch die Akkumulatoren laden.

Leistung-Zeit-Diagramm

Ein wesentliches Ergebnis der Erkundungsphase war die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Leistung und Zeit-Reichweite, siehe das <Leistung-Zeit-Diagramm>. Einfach ausgedrückt: je mehr Initial-Energie und je höher die Dauerleistung desto weiter der Sprung in die Zukunft. Die benötigte elektrische Leistung für den interessierenden Zeitbereich von 100.000 bis 5 Milliarden Jahren liegt ungefähr zwischen 2 Kilowatt und 300 Megawatt. Die Kennlinie ist allem Anschein nach logarithmisch, das heißt, die benötigte Leistung steigt im unteren Zeitbereich schneller an als im oberen Bereich. Die Kurve geht nie in die Sättigung, so dass für eine Reise ans Ende der Welt (zeitlich) eine unendlich große Energiemenge aufgebracht werden müsste. Doch hier geht es ja nur um eine Reise bis zum Ende der Erde (physikalisch), und dorthin nicht einmal ganz - aus oben schon erwähntem Grund.

Um weiter in die Zukunft vorzustoßen, musste ganz offensichtlich ein großer Energielieferant installiert werden. Da es in diesem Projekt immer mein Bestreben war, autark zu sein und nicht auf Energielieferung von außen zu setzen, begann ich, eine Windkraftanlage zu planen. Nach mehreren Gesprächen mit dem Hersteller stand am Ende des Jahres eine wunderschön große Enercon EP6 mit satten 8MW Leistung auf meinem Gelände. Zu schön, wie sich die riesigen Rotorblätter im Winde drehten.

Das Herz schlug mir höher, als ich zum ersten Mal diese gewaltige Leistung einsetzte. Jetzt konnte ich mühelos den hunderte Millionen Jahre Bereich erreichen. (Zu den Reiseberichten komme ich später). Leider ergaben sich auch Nachteile. Bei fehlendem Wind brach die Leistung ohne ausreichende Energiespeicherung schnell ein und gefährdete meine Reise. Einmal klappte deswegen der Rücksprung nicht hundertprozentig. Ich musste zwischenparken bei ca. 150 Jahren und konnte erst bei Wiederherstellung der vollen Leistung in die Ausgangszeit (heute) zurückkehren. Übrigens: dass mein Bauernhof damals, also in 150 Jahren, nicht mehr existierte, bekümmerte mich wenig, da ich ja - zum Glück - immer vollständig den Ausgangspunkt mitsamt Ausgangszeit erreichte.

Um das Risiko der Unterbrechung der Energiezufuhr zu minimieren, sah ich mich nach einem Energiespeicher um und fand die Schwerkraftspeicherung. Dabei wird ein großer Felskolben in einem Zylinder durch Wasserdruck langsam angehoben. Bei Bedarf wird der Kolben abgesenkt und erzeugt über das verdrängte Wasser Strom, ähnlich wie bei einem Pumpspeicherkraftwerk. Nach mehreren Gesprächen mit dem Hersteller realisierte sich innerhalb drei Jahren eine weiträumige Anlage, die mein Gelände neben der Windkraftanlage fast vollständig in Anspruch nahm.

Der schwimmende Felskolben der HEINDL-Schwerkraftanlage

Ich hatte die kleinste Ausführung der HEINDL-Anlage gewählt, da diese mit 1 GWh/24h ausreichend für meine Zwecke erschien. Passenderweise befindet sich unter meinem Gelände eine gut 300 Meter dicke Granitfelsschicht, so dass der Kolben mit 150 Metern Durchmesser daraus geschnitten werden konnte. Der Kolben hat eine Masse von mehreren Millionen Tonnen, das Hubwasservolumen beträgt ca. 1.300 Kubikmeter. Die Abdichtung des Druckwasservolumens unter dem Kolben erfolgt durch eine Rollmembran zwischen Kolben und Zylinderwandung. Eine Turbine erzeugt Strom zur Einspeisung in mein Generatorsystem, in diesem Fall in den Verbrauchspunkt der Windkraftanlage.

Natürlich ist der Speicher überdimensioniert, wenn man an die Absicherung meiner Reisen mit Windkraftenergie denkt. Doch schon bei der Konzeption des Speichers war klar, dass ich bald einen Energieerzeuger mit wesentlich höherer Leistung einsetzen würde, um auch die Zeit jenseits der 450 Millionen Jahre zu erreichen.

Nach meinen Berechnungen waren gut 300MW nötig, um weiterzukommen. Das ist Kraftwerksgröße. Nach meinem Prinzip der Autarkie empfahl sich nach intensiven Recherchen nur eine Lösung: ein kleiner Kernreaktor der Klasse „Small Modular Reactor“ (SMR). Es gibt viele SMR-Modelle auf dem Markt. Nach mehreren Gesprächen mit verschiedenen Herstellern entschied ich mich für den GE Hitachi PRISM 300MW Fast Neutron Reactor (FNR). Dieser ist relativ klein, einfach gebaut, einfach zu betreiben, und kann unter der Erde verbaut werden.

Ranch mit PPT Energie-Installation

Der Platzbedarf ist etwa ein Hektar, so dass ich einen Teil meines Weidelands dafür opfern musste. Zudem mussten Wasserleitungen vom nahegelegenen Bach zum Reaktor für Kühl- und Abwasser sowie zur HEINDL-Anlage für Druckwasser verbuddelt werden. Rund drei Jahre dauerten die Arbeiten. Dann hatte ich mein eigenes Kernkraftwerk und genügend Power für die ultimate Reise ans Ende der Welt.

So waren 7 Jahre vergangen. Natürlich war ich in dieser Zeit häufig in der Zukunft unterwegs, je nach Ausbaustufe der Anlagen und dem jeweiligen Energiepotential. Zu berücksichtigen war immer, dass die Zeitsprünge nie punktgenau waren, weil sich Startenergie nicht wirklich präzise dosieren lässt. Es war also fast unmöglich, genau zum Zeitpunkt der Inauguration von Abeeku Zikomo, dem Weltherrscher im Jahre 0,0881, vor Ort zu sein, um nur ein Beispiel zu nennen.

The PPT Billion Years iWatch

Zur Orientierung schrieb ich damals eine kleine Äpp für meine alte iWatch, die das aktuelle Jahr auf einer 5 Mrd. Jahre Zeitskala anzeigte. Sie diente mir auch zur Bestätigung meines Rückkehrzeitpunkts, der immer bei 0 Jahren liegen musste (andernfalls musste ich zusätzliche Justiersprünge unternehmen). Auf jeden Fall konnte ich mit Hilfe meiner „PPT Billion Years iWatch“ ein Protokoll über die erreichten Zeiten mitsamt den diversen Beobachtungen führen. So gelang es mir, über die Jahre ein relativ gutes Bild zur Entwicklung der Erde und der Bevölkerung über Millionen und Milliarden Jahre zu entwickeln.

Schon der dritte Zeitsprung in die nahe Zukunft (ca. 1000 Jahre) brachte eine gewaltige Überraschung. Wie immer trug ich meinen Schutzanzug und am Handgelenk die wichtigsten Sensoranzeigen: Sauerstoffgehalt der Luft (falls vorhanden), Temperatur, Druck, Radioaktivität. Die Geigerzähleranzeige blinkte rot und zeigte eine Umgebungsstrahlung von 300 MegaBecquerel mit einer prospektiven Jahresdosis von 1320 Millisievert, einem absolut gesundheitsschädlichen Wert. Eine Alpha-Zerfalls-Rückrechnung datierte den Ursprung der Strahlung auf das Jahr 0,00000002. Es musste also gegen Ende des 21. Jahrhunderts oder zu Beginn des 22. Jahrhunderts eine ganze Serie von Atomexplosionen gegeben haben, um eine solche Reststrahlung zu hinterlassen. Ich war deprimiert. Also hatte der atomare Weltkrieg doch stattgefunden!

Ich verzichtete darauf, in diese frühe Zeit zu reisen, was bei der Zielungenauigkeit meiner Technik ohnehin kaum möglich war. Außerdem wollte ich den atomaren Holocaust durchaus nicht erleben. Viel mehr interessierte mich der Zustand der Welt und der Menschen 1000 Jahre nach der Katastrophe. Als erstes fiel mir rund um den Globus die geringe Bevölkerungszahl auf. Außerdem schien es keinen motorisierten Verkehr zu geben. Am Rande der Siedlungen gab es meist kleine Fabrikgebäude, in denen vermutlich synthetische Nahrung hergestellt wurde, denn kultivierte Ackerflächen sah ich nirgendwo. Alle großen Städte waren verlassen und verrottet. Einige vor Ort Inspektionen ergaben das Bild mannigfaltiger körperlicher Missbildungen. Die dezimierte Menschheit befand sich immer noch im Überlebenskampf. Ich kehrte zurück.

Als nächstes wählte ich einen Zeitpunkt rund eine Million Jahre nach der atomaren Katastrophe. Es musste sich doch vieles zum Besseren entwickelt haben. Tatsächlich waren Städte zu sehen, Verkehrsknotenpunkte, und viele fliegende Objekte. Das Klima schien sich stark geändert zu haben, denn es war heiß fast überall auf dem Globus. Bei der Annäherung war klar zu erkennen gewesen, dass es kein Eis mehr gab, weder am Nord- noch am Südpol. Dort fielen jedoch die großen Industrieanlagen mitten in den riesigen Meeren auf. Die Besiedlung war nun auf die Länder des hohen Nordens und des tiefen Südens konzentriert. Ein mehr als 1000 Kilometer breiter Streifen entlang der Äquatorlinie war überhaupt nicht bewohnt, was vor allem nachts als weltumspannende dunkle Zone auffiel. Die neuen Weltstädte lagen in Sibirien und Kanada, nicht weit von den Produktionszentren am Rande zum und im Polarmeer. Das genügte mir. Der Mensch hatte sich wieder hochgerappelt. Ich musste weiterziehen.

Viel Arbeit lag noch vor mir. Fünf Milliarden Jahre, das sind 5.000 Millionen Jahre. Es war schlichtweg unmöglich, jedes Millionenintervall zu inspizieren. Dazu reichte weder Zeit noch Energie (= Geld). Immerhin hatte ich ganz „nebenbei“ mein Rinderzucht zu managen und möglichst viel Profit zu erzielen, um die horrenden Reisekosten begleichen zu können. Also begann ich, die Ziele etwas bescheidener auszurichten.

Ich stellte das Ziel auf das Jahr 0,2 (1 Mrd. J.) ein. Dafür fuhr ich mein Atomkraftwerk zum ersten Einsatz hoch. Der Impuls war enorm. In einem Lichtblitz kam ich an und musste erst einmal die Augen reiben, um etwas zu erkennen. Alles erschien mir einen Deut dunkler als bisher. Messungen der Sonnenstrahlung ergaben deutlich niedrigere Werte als zu unserer Zeit, fast Dämmerlicht. Zum Teil war das durch einen weltumspannenden Schleier hoch über der Stratosphäre bedingt. Eine Erdumrundung zeigte ausgedehnte weiße Eiskappen auf beiden Polen und eine Äquatorzone in sattem Grün. Verblüffend waren die Erdteilverschiebungen. Das Mittelmeer war verschwunden und der europäische mit dem afrikanischen Kontinent vereint. Wo früher die Insel Sizilien lag, befand sich jetzt eine riesige Metropolregion. Auf dem ganzen Erdball gab es nur noch fünf solche Regionen, die größte im ehemaligen Vietnam. Der australische Kontinent lag jetzt ganz in der Nähe von Indien, das wiederum über das Arabische Meer Richtung Oman gewandert war. Faszinierend. Im Grunde war die Erde unbewohnt bis auf die Metropolen. Es stellte sich heraus, dass diese Megastädte bis tief unter die Erdoberfläche reichten. Kraftwerke waren keine zu sehen. Die Energieproduktion erfolgte wahrscheinlich unterirdisch, vielleicht per Kernspaltung in tiefergelegenen Salzstöcken. Doch das war zunächst Spekulation.

In den folgenden 2 Milliarden Jahren besuchte ich die Erde immer wieder, um die Entwicklung der Menschheit zu dokumentieren. Wie schon in der Vergangenheit wechselten sich kriegerische mit friedlichen Epochen ab. Besiedlungsaktivitäten unterlagen klimatischen Schwankungen. Bemerkenswert ist die Nutzung der Kernfusion auf breiter Ebene zu Beginn dieser Zeit. Mit fortschreitendem Alter machte die Erde jedoch einen ermüdeten Eindruck auf mich. Das Grün zog sich zurück und auch das Blau der Meere und des Himmels mutierte zu einem Graugelb. Die Luftanalyse ergab einen hohen Methananteil von 1% und Sauerstoff von knapp unter 20%, ein ungesundes Verhältnis. Ein Besuch im Jahr 0,76 vermittelte genügend Eindrücke des Niedergangs. Menschen wie heute gab es dort nicht mehr, eher schlampig gebaute Wesen, bleich und kraftlos, und weitgehend immobil. Die meisten der Wesen, oft tierähnlich, gingen auf vier Beinen oder zwei Beinen und zwei Armen. Die Infrastruktur verrottete zunehmend. Ich beschloss, einen weiteren Sprung zu wagen, um das Ende dieser Entwicklung kennenzulernen.

Dresden im Jahr 0,8

Im Jahr 0,8 materialisierte ich bei Dresden und fand mich in einer Eiswüste wieder. So weit ich mich umsah, nichts als Eis und gräulichgelber Schnee. Eine schnelle Erdumrundung zeigte, dass der gesamte Erdball von Eis bedeckt war. Ein schockierender Anblick! Mit großer Bestürzung suchte ich nach der Ursache dieses verheerenden Zustands und fand einige Millionen Jahre früher eine langsam abnehmende Sonneneinstrahlung und vor allem einen größeren Abstand zwischen Sonne und Erde. Einige astrophysikalische Messungen ergaben, dass die Erde aus der Bahn geraten war, und zwar so, dass ihre Exzentrizität schon in die Nähe von 0,02 kam. Dadurch überwogen zunehmend die kalten Perioden, was letzendlich zur totalen Vereisung führte.

Nun hat es in der Erdgeschichte immer wieder Eiszeiten gegeben. Nach der Kälte kam regelmäßig die Wärme wieder und damit neues Leben. Doch der jetzt vorgefundene Zustand ließ nichts Gutes erahnen, denn alles Leben auf der Erde war augenscheinlich erloschen.

Um herauszufinden, wie lange diese Eiszeit dauerte und was danach kam, unternahm ich eine große Zahl von Reisen, was riesige Mengen von Energie verschlang. Ich musste den Großteil meiner Herde verkaufen, um das zu finanzieren. Irgendwann kam ich an den Endpunkt, genauer gesagt an den Wendepunkt. Ab dem Jahr 0,84 schmolz das Eis und bald zeigten sich erste Grünflächen. Immer wieder forschte ich nach Lebewesen und entdeckte die ersten Kreaturen, die an Land gekrochen kamen. Ich kalkulierte, dass vielleicht in 200 Millionen Jahren erste menschenähnliche Wesen existieren könnten.

Also fuhr ich wie so oft in letzter Zeit den Felskolben des Schwerkraftspeichers bis zum Anschlag hoch (das dauert jedes Mal 24 Stunden), programmierte den PRISM Reaktor auf Höchstleistung, und sprang ins Jahr 0,88.

Gleißendes Licht empfing mich und eine Hitze, die in Sekundenschnelle in meinen Anzug eindrang. Ich sah nichts, reagierte nur instiktiv. Das musste ein Großfeuer sein und ich musste da raus. In meiner Not forderte ich mehr Energie an, obwohl ich wusste, dass in diesem Moment einige Sicherungen in meinem Neutronenraktor zuhause durchbrannten. Der Schub senkte schützende Dunkelheit über meine Sinne. Als ich wieder zu Sinnen kam, überblickte ich die Situation aus weiter Ferne.

Die ganze Erde stand in Flammen. Ihre neue Farbe: scharlachrot. Selbst hier, in sicherer Entfernung, wurde mir ganz warm. Ein Blick zur Sonne überzeugte mich: ein riesiger weißer Feuerball stand da im Raum und wurde immer größer und zugleich unförmiger. Denn große Stücke brachen heraus und schossen in den Weltraum. Es war so hell, dass keine anderen Gestirne mehr zu erkennen waren. Nur den Mond konnte ich undeutlich sehen, in zwei Teile zerbrochen. Ein gigantisches Inferno! Das war der Weltuntergang und ich war mitten drin.

Zuhause zitterte ich immer noch. Der Weltuntergang hatte mich sehr mitgenommen. Nach einigen Tagen der Ruhe kamen die klaren Gedanken wieder. Neben dem Bedauern, dass ich die Entwicklung und vielleicht Vollendung der neuen Menschenrasse nicht erleben konnte, da das Ende der Welt naturgemäß auch das Ende allen Lebens bedeutet, wuchs zunehmend mein Ärger über die törichten Voraussagen der Geophysiker über den Zeitpunkt der Supernova, die ja erst im Jahre 0,9 stattfinden sollte. Statt dessen explodierte die Sonne schon im Jahr 0,88, also 100 Millionen Jahre früher. Ein fataler Irrtum, der mich hätte das Leben kosten können. Ich nahm mir vor, der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft in Potsdam einen gehörigen Brief zu schreiben mit einigen Photos vom Weltuntergang, dazu einen Screenshot von der zugehörigen iWatch-Zeitanzeige - zum Beweis. Es muss die Beschreibung der Zukunft in allen Lehrbüchern geändert werden.

Ich spielte mit dem Gedanken, noch einen Sprung ins Jahr 1 zu machen. Es konnte 500 Millionen Jahre nach dem Untergang nichts mehr übrig sein. Es war ein Spätsommerabend - die Sonne wärmte eine bunte Herbstlandschaft, die Rinder zogen grasend über das Land - als ich mich in eine mehr als unbekannte Welt schleudern ließ. Und es war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Am schrecklichsten war die Dunkelheit (und die Kälte). Ich konnte die Sonne als winzig kleinen, schwach glimmenden Brocken erkennen. Der Planet Erde war in Myriaden von Gesteinsbrocken zerfallen, die nun wie Saturnringe um den kümmerlichen Rest der Sonne kreisten, die als weißer Zwerg immer noch eine gewaltige Anziehungskraft ausübte.

Ich kehrte zurück. Von der Terrasse meiner Ranch aus beobachtete ich die untergehende Sonne und genoß die letzten warmen Strahlen des Tages in meinem Gesicht. Eine Schar weißer Schwäne flog laut schnatternd über die Farm und ich dachte bei mir: „Das Leben ist schön - und so kurz“.

Anmerkungen:

Es gibt durchaus Menschen, die sich schon heute vor dem Ende der Welt fürchten, so zum Beispiel Anna.

Bei all den Reisen sind mir nie humanoide und zugleich intelligente Roboter begegnet. Es ist ein heutiger Irrglaube, dass Roboter den Menschen verdrängen werden. Ein Roboter kann einfach nicht so niederträchtig sein wie der Mensch (der Mann, „Mankind“). (Eine kleine, nicht ernstzunehmende Spitze meinerseits).

Selbstverständlich habe ich meine PPT-Zeitreisetechnik nicht patentieren lassen. Aus zwei Gründen: 1. Keine Zeit für die Ausarbeitung einer Anmeldung. 2. Zum Schutz der Zukunft vor ungebetenen Besuchern.

Quellen:

http://www.heindl-energy.com
https://en.wikipedia.org/wiki/Small_modular_reactor
http://www.world-nuclear.org/information-library/nuclear-fuel-cycle/nuclear-power-reactors/small-nuclear-power-reactors.aspx#Modular_construction