Petra P.

21.1.2016

Petra P. (Name nicht geändert, Anm. d. Red.) verschwand vor 32 Jahren, genau am 26.7.1984. Fünf Jahre später wurde sie vom Amtsgericht Wolfsburg für tot erklärt.

Petra studierte Informatik an der TU Braunschweig und wohnte bis zu ihrem Verschwinden im Studentenwohnheim. Sie verabschiedete sich an jenem Tag mit der Erklärung, sie wolle ihre Eltern in Wolfsburg besuchen und dort in Ruhe ihre Diplomarbeit schreiben. Sie bestieg den Bus an der Haltestelle, in deren Nähe ein Jahr zuvor ein junges Mädchen umgebracht worden war. Der Mörder war gefasst worden und hatte später vor Gericht erzählt, er sei auch für den Mord an Petra P. verantwortlich. Eine ausgedehnte Suchaktion brachte kein Ergebnis. Auch die Fernsehfahndung blieb ohne Erfolg. Petras Leiche wurde nie gefunden und sie blieb unauffindbar.

Vor kurzem betrat die Polizei Düsseldorf eine Wohnung, in die eingebrochen worden war und traf auf Petra Sch. Es stellte sich schnell haraus, dass es sich um Petra P. handelte, die unter falschem Namen lebte.

Nach und nach kam die unglaubliche Geschichte ihres Lebens im Untergrund ans Licht. Sie gab an, von Gelegenheitsarbeiten gelebt zu haben. Ihr Ausweis war bald abgelaufen. Sie war nicht versichert und besaß natürlich kein Bankkonto. Bei nur einem Arztbesuch in der ganzen Zeit bezahlte sie in bar. Zum Telephonieren benutzte sie nur ausgeliehene Geräte von Freunden. Sie tat alles, jeglichen Kontakt mit den Behörden zu vermeiden. Und es gelang ihr tatsächlich, zweiunddreißig Jahre lang als nicht-existent zu gelten.

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hat nun einen Antrag beim Amtsgericht Wolfsburg gestellt, Petra N. für lebendig zu erklären.

Wer heute verschwinden will, hat es ungleich schwerer als Petra N. Das liegt hauptsächlich daran, dass es kein Bargeld mehr gibt. Das Leben von Zuwendungen und Geldspenden ist nicht mehr möglich. Das heißt, die gesamte Lebensgrundlage ist den Menschen im Untergrund entzogen.

Natürlich gibt es einen Ausweg. Aber der ist nicht ohne Fallstricke. Das Zauberwort heißt 'Prepaid'. Mit Guthabenkarten, d.h. Kreditkarten, kann man überall bezahlen, nur - man muss eine solche Karte erst einmal haben. Früher konnte man die Guthabenkarte mit Bargeld 'auftanken'. Heute muss das Guthaben durch Überweisung von einem Bankkonto aufgebaut werden.

Damit ist der Ausweg 'Prepaid' für den Untergrundmenschen verbaut. Schon bei der Beantragung einer 'Kreditkarte ohne Girokonto' muss man alle persönlichen Daten angeben, als da sind Name, Adresse, Einkommen, Zahlungsverpflichtungen. Da das Geld ja nicht auf der Kreditkarte gespeichert liegt, sondern auf einem Konto der Kreditfirma, sind alle Transaktionen transparent - wo das Geld herkommt und wo es ausgegeben wird, bis auf den Cent.

Der allerletzte Ausweg: Prepaid-Karte schenken lassen. Man tritt dann selbst nicht in Erscheinung. "Ham'Se mal'n Euro?" heißt dann "Karte übrig?". Während früher der Erdoberflächenbewohner immer noch ein paar Münzen für den Untergrundmenschen im Portemonnaie hatte, hat heute so gut wie niemand eine überflüssige Prepaid-Karte dabei.

Petra P. müsste heute beim Bauern für Naturalien arbeiten. Für ein Paar Schuhe würde sie ihrer Freundin zwei Säcke Kartoffeln anbieten. Der Versuch, im Factory Outlet für eine günstige Armbanduhr mit zehn Maiskolben und einem kleinen Ferkel zu bezahlen, würde scheitern.

Das Leben im Untergrund ist heutzutage ein einziger Überlebenskampf.