Rücksichtsvolle Rennfahrer

2.7.2017

Formel 1 - Rennen fahren ist nichts für Weicheier. Ein Rennen durchzustehen erfordert höchste Konzentration und Kondition. Die Nerven sind mehr als angespannt. Reaktionen in Sekundenbruchteilen entscheiden oft über Sieg oder Niederlage. Unter solchen Umständen kommt es immer wieder zu gefährlichen Situationen. Der Fahrer in diesem komplexen Mensch-Maschine-System rastet aus.

Vettel fährt auf Hamilton auf

So geschehen beim Formel 1 Rennen in Baku (Aserbaidschan) am 25.6.2017. Diesmal war es Sebastian Vettel, der die Nerven verlor. Am Ende einer Safety-Phase, in der die Fahrer hintereinander relativ langsam ihre Runde(n) drehen, fuhr Vettel auf das Fahrzeug von Lewis Hamilton auf, siehe Bild. Wie kam es dazu?

In der Regel beschleunigen die Fahrer nach der Safety-Phase, um das normale Rennen wieder aufzunehmen. Aber nicht immer. Der führende Fahrer entscheidet, wann es los geht. In diesem Fall erwartete Vettel, dicht hinter Hamilton fahrend, dass dieser beschleunigen würde, was er aber nicht tat. Vettel fuhr auf ihn auf. Vettel fasste das als Ausbremsmanöver auf. Tatsächlich hatte Hamilton nicht gebremst, sondern Vettel hatte beschleunigt.

Voller Wut fuhr Vettel längsseits und rammte Hamiltons Wagen - zur Bestrafung. Während in anderen Motorsportdisziplinen (Tourenwagen, Motocross) Berührungen häufig vorkommen, sind sie in der Formel 1 strengstens verboten. Zu gefährlich.

Das war wirklich nicht rücksichtsvoll. Solche Ausraster lassen sich nur vermeiden, wenn im Rennwagen kein Fahrer sitzt. Die Rede ist vom autonomen Fahrzeug im Renneinsatz

Devbot

Beim Buenos Aires Formula E ePrix am 18.2.2017 gab es in einer Vorveranstaltung zum ersten Mal ein Roborace, ein Rennen zwischen selbstfahrenden, elektrisch angetriebenen Fahrzeugen, den "Devbots". Die Devbot-Rennwagen haben für Testzwecke noch eine Fahrerkabine, die im weiteren Entwicklungsverlauf wegfallen wird. (Das Fahrzeug für die internationale Rennserie ist der Roboracer, siehe Bild ganz unten). Das selbstfahrende Auto ist in der Lage, den Kurs ideal abzufahren, andere Autos zu erkennen und deren Kurs taktisch auzuwerten, und Hindernissen auszuweichen.

Nach außen sieht ein Roborace wie ein normales E-Race aus. Der Unterschied ist natürlich, dass die Roboracer Maschinen sind, keine Menschen. Wird ein Roboracer jemals einen Wutanfall haben und ausrasten? Wohl kaum, es sei denn, "Wut" ist einprogrammiert. Aber das ist unwahrscheinlich, denn damit würde ein Potential der Selbstzerstörung geschaffen.

Die Überlegungen, die ein Devbot während des Rennens zusammen mit dem Boxen-Computer anstellt, lassen sich einfach anhand des Datenprotokolls nachlesen. Im folgenden ein Auszug, der das Verhalten von Devbots in einer risikoreichen Situation gut erklärt.

Dabei ist comm-dir die Kommunikationsrichtung und
ei -> ej Fahrzeug an Fahrzeug
ei - > all Fahrzeug an alle Fahrzeuge
ei -> box Fahrzeug an Box / Kontrolle
box -> ei Box an Fahrzeug
box -> all Box an alle

Step Zeit / ms comm-dir computer-code human speak
1 0 e1 -> e5 ct(e1,e5,call) hallo e5
2 2 e5 -> e1 resp(e5,requ) was ist, e1 ?
3 12 e1 -> e5 inf(e1,coll,1344) Prognose Kollision in 1,3sec
4 13 e5 -> box sts(e5,e1,coll,1343) Status Kollision in 1,3sec
5 14 box -> e5 req(box, par(latdstc)) welcher laterale Abstand zu e1 ?
6 15 e5 -> box inf(e5,dstc=5) Abstand ist 5ft
7 19 box -> e5 cmd(box,v(-10%)) e5 reduziere Speed um 10%
8 21 box -> e1 cmd(box,v(+10%) e1 erhoehe Speed um 10%
9 1021 box -> e1 req(box,par(lngdstc)) welcher long. Abstand zu e5 ?
10 1022 e1 -> box resp(e1,dstc=10) Abstand ist 10ft
11 1030 box -> all inf(box,e1:3,e5:4) akt. Platz.: e1 auf 3, e5 auf 4

Wie man sieht, handelt es sich um die Vermeidung einer drohenden Kollision zwischen Devbot e1 und Devbot e5. Die Entscheidung ist innerhalb 0,021 Sekunden gefallen, die Erfolgsbestätigung folgt in Sekunde 1,03. In dieser Zeitspanne laufen noch eine Vielzahl weiterer Kommunikationen mit den anderen Fahrzeugen ab.

Dieses Beispiel könnte vorbildlich für Rennfahrer sein. Devbot lässt sich zurückfallen (auf Anweisung des Boxen-Computers), um die Kollision zu vermeiden. Dadurch überholt Devbot e1 und setzt sich damit vor e5. Box informiert alle Fahrzeuge über die neue Platzierung.

Ganz eindeutig kann man den Fahrer eines Devbots, den Steuercomputer, als "rücksichtsvollen Rennfahrer" bezeichnen. Menschliche Gefühle sind ihm fremd. Selbst ein Sieg lässt ihn kalt. Er ist der neue Typ des Rennfahrers, die Fair-Play-Trophäe ist ihm sicher.

Wir werden die Entwicklung beobachten. Sobald E-Racer mit menschlichen Fahrern gegen Roboracer antreten, was noch eine ganze Weile dauern kann, sind wir dabei. Wie wird sich der Mensch gegenüber der perfekten Maschine verhalten? Spielt Rennerfahrung eine Rolle angesichts der Tatsache, dass ein Devbot den Kurs exakt kennt und die Ideallinie berechnet hat? Viele Fragen stellen sich. Wir werden berichten.

Quellen:

http://www.bbc.com/news/technology-39027477
http://www.sport1.de/motorsport/formel1/2017/06/formel-1-in-baku-sebastian-vettel-schuld-am-unfall-mit-lewis-hamilton?taboola=1
http://roborace.com
https://www.bbc.com/news/business-49420570

Autonome Rennwagen:
https://www.welt.de/wirtschaft/article236137728/Erstes-autonomes-Autorennen-Wie-Formel-1-nur-ohne-Fahrer.html

 

Roboracer