Zeitdiebstahl

7.9.2022

Kann man Zeit stehlen? Eine immaterielle Größe, die nicht greifbar ist und bestenfalls auf einer Skala dargestellt werden kann? Ja es geht. Und es gibt Beispiele.

Da ist zum Beispiel die Finanzamts-Angestellte, die für 8 Stunden Anwesenheit 120 Euro bekommt, aber fast jeden Tag 5 Minuten früher Schluss macht, da nachmittags sowieso keine Kunden da sind. Sie hat damit dem Finanzamt Zeit und 1,25 Euro gestohlen.

Man kann sich aber auch selbst seine eigenen Zeit stehlen, indem man unnötige Dinge tut, und damit weniger Zeit hat für angenehme Dinge wie zum Beispiel Chillen. Die Beschreibungen solcher Verhältnisse konzentrieren sich auf das Arbeitsleben. Das Privatleben ist Privatsache und jede/r muss schauen, wie er/sie damit zurechtkommt.

Managementberater haben die Sache durchschaut und identifizieren die Arbeitsumstände, bei denen Zeit verloren geht:

1. Reagieren auf unwichtige Kommunikation, statt eigene wichtige Arbeiten durchzuführen.
2. Einzelfallbetrachtung bei wiederkehrenden Ereignissen, anstatt Regeln aufzustellen.
3. Spontane Entscheidungen ohne die Konsequenzen durchdacht zu haben.
4. Fehlende Delegation von Aufgaben an andere Mitarbeiter.
5. Aufgaben oder Aufträge nicht notiert, so dass Nachfragen erforderlich wird.
6. Übermäßiger Gebrauch von SocialMedia.
7. Zuviel Klatsch über Andere.
Eleanor Roosevelt: „Große Geister diskutieren Visionen; 
Normale Geister diskutieren Geschehnisse; Kleine Geister diskutieren Menschen.
8. Zu viele unwesentliche Dinge bearbeiten.

Zeit für die Künstliche Intelligenz

Im normalen Leben ist jede/r umgeben von Zeitdieben. Das beginnt schon in der Telephon-Warteschleife, die einem nicht nur den letzten Nerv raubt, sondern auch viele Minuten Lebenszeit kostet. Die Frage eines Mitmenschens: "Hast du mal eine Minute?" gehört zu den gefährlichsten Avancen, denen man ausgesetzt sein kann, denn aus einer Minute werden ganz schnell 30 Minuten! Generell ist "Warten" die Reinstform des Zeitraubs. Warten beim Arzt, in der Schlange, an der Kasse, vor dem Eingang, vor dem Auftritt der Mega-Band.

Nur das Warten auf die Pizza im Ofen fällt nicht in die Kategorie Diebstahl, denn in der Wartezeit kann man den Tisch decken, Getränke bereitstellen, und den Salat vorbereiten.

Aus dem bisher Gesagten wird klar, dass der Mensch der Zeitdieb ist, der sich selbst oder anderen Zeit stiehlt. Das ist allgemein bekannt und wohl oder übel so akzeptiert. Doch die neue Generation der Zeitdiebe lebt in Form von Computern heimlich in Geräten aller Art.

Moderne Mikroprozessoren sind so schnell, dass sie mehrere Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde durchführen können. Das ist wichtig für Wettervorhersagen und Bildanalysen. Auch die Tatsache, dass wir Telephongespräche in die ganze Welt in Echtzeit führen können, ist den phänomenalen Rechengeschwindigkeiten heutiger Computer geschuldet. Sie sind also fix und sie sind überall eingebaut.

Woher kommt es dann, dass die ganze künstliche Intelligenz um uns herum so widerwillig, gar eigensinnig reagiert? Es gibt kaum einen Apparat heute, der nicht nach seinem Einschalten in tiefe Apathie verfällt. Da ist der Satellitenreceiver mit angeschlossenem TV-Gerät. 17 nervtötende Sekunden dauert es, bis ein Programm erscheint. Was hätte man in dieser Zeit nicht alles Schönes sehen können? Noch viel schlimmer verhält sich mein Desktop iMac Mainframe Computer. Vom Start bis zum fertig eingerichteten Bildschirm vergehen sagenhafte 43 Sekunden!(!!). Ein ganz frecher Zeitdiebstahl, der den Drang und das Hochgefühl, die neuesten Erkenntnisse in Wort und Schrift umzusetzen, brutal ausbremst. Mit den digitalen DAB-Radios ist es kaum anders. Man sollte meinen, dass die Stationswahltasten dazu da sind, einen Sender einzuschalten. Doch weit gefehlt. Nach Tastendruck ertönt 5 Sekunden lang nur Stille. Und das gilt für alle Sender. Das Radio auf dem neusten technischen Stand muss jedesmal den angewählten Sender suchen, obwohl die Sendefrequenz schon längst gespeichert ist. Man könnte von Programmierversagen sprechen, doch das Problem liegt viel tiefer.

Computer und Mikrochips sind so komplex geworden, dass es den darauf implementierten Programmen selbst schwerfällt, sich zu orientieren. Es fängt beim Hochladen an. Da wird die Systemeinstellung überprüft, die Hardware abgesucht, das Netzwerk getestet, das Systemprotokoll gelesen, die eigene Version verglichen (wer bin ich?) - und die Zeit läuft. Das Runterfahren verläuft ähnlich. Sich selbst auszuschalten ist ein schmerzhafter Prozess des Abschieds. Was ist nicht alles zu notieren für den Nachfolger, also für das Selbst beim nächsten Einschalten.

Seit die Systeme keine Apparate mehr sind, die loslaufen, wen man sie einschaltet (wie ein Staubsauger), ist viel Geduld angesagt, denn die digitalen Wesen sind - vor allem, wenn sie künstlich intelligent sind - empfindsam und introspektiv, fast menschlich, denn ein Einschaltsignal, also ein Wecksignal löst zunächst einmal ein längeres Gähnen aus, dann das Augenreiben, vorsichtiges Augen öffnen und Umherschauen. Auch die Fragen, wer bin ich, wo bin ich, was tue ich hier und was ist zu tun, benötigen Zeit zur Beantwortung.

Überschlägig gerechnet, beträgt die Wartezeit eine Minute pro Tag. Das sind 18.250 Minuten in 50 Jahren, oder 304 Stunden, also mehr als 12 Tage Lebenszeit, die uns von den digitalen Dingern gestohlen werden.

Die einzig richtige Einstellung gegenüber dem räuberischen Verhalten unserer dienstbaren Geister ist Verständnis und Langmut. Es sind ja auch nur Maschinen und man sollte nicht falsch über sie urteilen.

Quellen:

https://unternehmer.de/management-people-skills/252115-zeitdiebstahl-dinge-zeit-rauben
https://www.francois-loeb.com/kurzgeschichten-kostenlos-lesen/geschichten-archiv/zeitdiebstahl