Stanislaw Lem

1.10.2014

Auszüge aus einem Interview mit Stanislaw Lem in Krakau am 15.11.2005:

"Ginge es nach mir, könnten Sie 30 Prozent meiner gesamten literarischen Leistung auf den Müll werfen. Dies und das ist wohl noch am Leben. Wissen Sie, Intelligenz ist ein Rasiermesser: Man kann sie sinnvoll nutzen, sich damit aber ebenso gut auch die Gurgel durchschneiden. Im Grunde ihres Wesens ist sie ungesund."

"Es gibt mehrere Sintfluten, nicht nur eine. Auch eine technologische. Jeden Tag kommen neue Automodelle auf den Markt – doch wozu? Ich selbst fahre seit 25 Jahren denselben Mercedes. Da drüben unter dem Kamin verstauben fünf elektrische Schreibmaschinen, weil ich noch immer stur meine mechanische Remington verwende. Wenn wir Glück haben, setzt dem Spuk irgendwann das Versiegen der Rohstoffe ein natürliches Ende. Und was die Informationsflut betrifft: Selbst wenn Sie es irgendwie schafften, den Schund einigermaßen von relevanten Informationen zu trennen, wäre der Anspruch, das alles aufzunehmen, in etwa das Gleiche, als versuchten Sie den Atlantik mit einem Teelöffel trocken zu legen."

"Der Computer ist nicht mehr als ein mechanisches Vieh. Eine elektronische Kuh, die Daten wiederkäut. (lacht) Er ist ein Werkzeug, vergleichbar einem Hammer. Einen eigenständigen Einfall dürfen Sie da nicht erwarten, zumindest keinen sinnvollen. Und mit einer Moral können Sie ihm auch schlecht kommen."

Künstliche Intelligenz: "Es gibt sie nicht. Jedenfalls nicht in naher Zukunft. Was ein Typ wie dieser Kurzweg im ‚Scientific American’ schreibt – dass wir bereits in 20 Jahren an der Schwelle der Fusion der biologischen Natur des Menschen mit der Technologie stünden – halte ich für reinen Unsinn. Intelligenz ist ein verschwommener Begriff, ein Modewort, das derzeit auf alles und jeden angewendet wird. Sogar meine Hosenträger sind, wenn Sie so wollen, intelligent. Immerhin kann man sie regulieren."

Unterschied zwischen Intelligenz und Verstand: "Da sind wir wieder beim Rasiermesser: Die Intelligenz ist das Messer, der Verstand führt es. Er ist die Hand, die bestimmt, in welche Richtung sich das Messer richtet. Und ohne diese Hand ist die gigantischste Rechenkapazität nicht viel wert. Schreiben, Reden, die besondere Kunst zu denken – all das liegt in ungreifbarer Ferne. Es ist ein bloßer Traum der Elektroniker. Ein Automat kann Ihnen die geschickteste Zugverbindung errechnen, dem Pentagon einen strategischen Schlachtplan entwerfen oder Sie beim Schachspiel matt setzen. Er kann im Rahmen geschlossener, klar definierter Zusammenhänge agieren. An der Aufgabe, in eigenen Worten den Inhalt eines Grimm-Märchens wiederzugeben, wird er scheitern. Dafür benötigt man das, was ‚formbare Intelligenz’ genannt wird."

Quelle: Magazin Galore, 17 (2005), www.galore.de

Bücher (B), Apokryphen (A), Essays (E), Materialien (M) von Stanislaw Lem:

Also sprach GOLEM 1981 A
Das Hohe Schloss 1968 B
Das Hospital der Verklärung 1955 B
Das Rätsel 1981 E
Der Flop   B
Der Futurologische Kongress 1971 B
Der getreue Roboter   B
Das Katastrophenprinzip 1983 E
Der Mensch vom Mars 1946 B
Der Planet des Todes 1951 B
Der Schnupfen 1976 B
Der Unbesiegbare 1964 B
Der Weiße Tod   B
Der Widerstand der Materie   M
Dialoge 1957 E
Die Art/Rasse der Raubtiere 2006 M
Die Astronauten (Der Planet des Todes) 1951 B
Die Entdeckung der Virtualität   E
Die Irrungen des Dr. Stefan T. 1950 E
Die Jagd   B
Die Maske 1976 E
Die Ratte im Labyrinth 1957 E
Die Rätsel   B
Die Sterntagebücher des Weltraumfahrers Ijon Tichy 1961 E
Die Stimme des Herrn 1969 B
Die Technologiefalle 1996 E
Die Untersuchung 1959 B
Die Vergangenheit der Zukunft 1992 B
Die vollkommene Leere 1971 A
Die Welt am Abgrund   M
Diktate   M
Eden 1959 B
Eine Minute der Menschheit 1983 A
Eintritt nur für Sternenpersonal 1968 B
Essays   E
Fiasko 1987 B
Frieden auf Erden 1986 B
Gast im Weltraum 1955 B
Imaginäre Größe 1973 A
Invasion vom Aldebaran 1959 E
Irrläufer   E
Kyberiade 1965 B
Lem über Lem   M
Lokaltermin 1982 B
Memoiren, gefunden in der Badewanne 1961 B
Mondnacht   E
Nacht und Schimmel 1969 E
Phantastik und Futurologie 1970 E
Philosophie des Zufalls 1968 E
Pilot Pirx 1968 B
Provokation 1980 A
Riskante Konzepte 2000 E
Robotermärchen 1964 B
Rückkehr von den Sternen 1961 B
Sade und die Spieltheorie 1978 E
Science Fiction: ein hoffnungsloser Fall mit Ausnahmen 1978 B
Solaris 1961 B
Summa Technologiae 1964 E
Sterntagebücher   B
Technologie und Ethik   B
Terminus   B
Über außersinnliche Wahrnehmung 1978 B
Vom Nutzen des Drachen   E
Waffensysteme des 21. Jahrhunderts 1983 A

Essays im Magazin TELEPOLIS:

Die Machtübernahme Zur Krisensituation im informationstechnologischen Bereich 31.12.2001
Die Progression des Bösen Die Kehrseite des technologischen Fortschritts 11.11.2001
Die Megabitbombe Von der Verschmutzung der Informationsumwelt und den ausfransenden Rändern des Wissens 12.09.2001
Das Internet und die Medizin Können mehr Informationen die Intuition und die eigene Wahrnehmung ersetzen? 21.04.2001
Der Weg ohne Umkehr Sollte die Hölle existieren, so wird sie computerisiert sein 19.03.2001
Elend aus Überfluss Nähert sich der Computerboom dem Ende? 07.12.2000
Digitalitis Kann man ohne Computer noch glücklich sein? 08.11.2000
Die Vormundschaft der Computer Die ersten Schritte in den Ausbau einer "Ethikosphäre" wurden bereits gemacht 19.10.2000
Bewusste und unbewusste Illusionen Rauschgift, virtuelle Realität, Künstliche Intelligenz und das Internet 03.08.2000
Emotional Quotient Warum Gefühle für die Künstliche Intelligenz bestenfalls noch weit entfernt sind 24.05.2000
Geist aus der Maschine Kann aus dem Internet eine bewusste Intelligenz entstehen? 27.03.2000
Internetspiele Phantomatik, Künstliche Intelligenz und das Prinzip zunehmender Komplexität 21.01.2000
Metainformationstheorie Von einer befreiten Evolution 03.11.1999
Das Geheimnis des Verstandes Ein künstlicher Verstand scheint in weiter Ferne zu liegen 17.09.1999
Meine Weltanschauung Das genaue Wissen ist nur eine vereinzelte kleine Insel im riesigen Ozean des Nichtwissens 18.06.1999
Der Infoterrorismus Die Grenzen zwischen einfachem und kryptomilitärischem Terrorismus verwischen sich 21.04.1999
Onomastische Cyberkriege Vom Beschießen mit der Wahrheit und Lügenkanonen 06.02.1999
Der Verstand als Steuermann Überlegungen zum Stand der Cerebromatik 12.11.1998
Das Internetrisiko Eine Arche Noah für das Internet 12.08.1998
Kreuzwege der Information Totale Überwachung oder Anarchie? 08.06.1998
Probleme mit der Phantomatik Noch ist die Virtuelle Realität nicht wirklich immersiv. 01.06.1998
Kreuzwege der Information Totale Überwachung oder Anarchie? 12.03.1998
Unter dem Fluch des Prävidismus Science Fiction, Künstliches Leben und die Möglichkeit der Voraussage. 16.01.1998
Die Simulation der Kultur Um die Welt und ihre Entwicklungen besser verstehen und steuern zu können, wird derzeit alles simuliert, was nur möglich ist. Stanislaw Lem fragt, ob Entstehungs- und Entwicklungsprozesse der menschlichen Kultur sich wegen ihrer Einzigartigkeit und Komplexität nicht prinzipiell der Simulation entziehen. 19.08.1997
Artificial Servility Eine wirkliche künstliche Intelligenz muss auch lügen und böse sein können 08.10.1997
Informationszüchtung Wie wäre es, Informationen wie Samen einfach wachsen zu lassen? Bereits vor 40 Jahren hat Stanislaw Lem die Züchtung von Informationen vor Augen gehabt. Heute sieht er daraus die Möglichkeit entstehen, Biocomputer zu bauen, die sich allerdings der Herrschaft des Menschen entziehen werden. 19.06.1997
Meine Abenteuer mit der "Futurologie" Im ersten Essay der Reihe, die Telepolis von Stanislaw Lem veröffentlicht, berichtet der bekannte polnische Futurologe und Science Fiction Autor von den Anfängen und Motiven seines Schaffens. Gerade die intellektuelle Isolation während des kommunistischen Regimes führte für ihn zu einer kreativen Explosion, die sich in zwei Bahnen niederschlug - in ... 24.04.1997
Labyrinthe der Information Ignorantin, Insperten und Labyronthologie 10.04.1997
Evolution als Parallelcomputer Vom Spiel des Lebens und dem Umherirren des Irrtums 04.03.1997
Exformation Die explosive Information 30.01.1997
Informationsbarriere? Über die Informationssintflut wird allerorten geklagt. Einen Weg zurück gibt es nicht mehr. Träumen die einen von intelligenten Agenten, also schlauen Dienern, die einem die Qual der Wahl abnehmen sollen, machen die anderen dicht oder lassen sich von unsinnigen Informationsmengen überschwemmen. Stanislaw Lem überlegt, ob die gezündete "Megabitbombe" nicht nur ... 03.01.1997