iRobo
6.10.2015
Finn und Sinn, die Eltern des kleinen Jamie und der kleinen Amy leben in Swords in der Nähe des Flughafens nördlich von Dublin. An ihrem Haus am Waterside Walk (auf Karte zeigen) befindet sich ein kleiner Garten mit Gartenhäuschen und einer Schaukel für die Kinder. In der Siedlung von schlicht gebauten Einzel- und Reihenhäusern leben rund fünfhundert Menschen. Viele von ihnen arbeiten im Airport Dublin, die anderen in der Stadt. Ins Stadtzentrum von Dublin sind es nur 10 Kilometer und man ist schnell dort über die M1-Autobahn.
Sinn arbeitet als Fluggeräteelektronikerin bei Ryanair. Schon von Kind an konnte sie sich für Technik begeistern. Ein Flugzeug mit komplexester Elektronik, vollgestopft mit Computern, ist für sie das reinste Paradies. Ganz nebenbei sorgt sie für Sicherheit beim Billigflieger.
Finn dagegen ist ein eher nüchterner Kaufmann und arbeitet als Hotelmanager im Paramount, einem alten Touristenhotel in zentraler Lage in Dublins Vergnügungsmeile. Kummer bereitet Finn der Umstand, dass nicht genügend renoviert wird, um das heruntergekommene Hotel aufzufrischen. Aber solange Touristen hereinströmen, wird sich daran nichts ändern. In der nicht weit entfernten Guiness-Brauerei nimmt Finn sein Lunch und tankt dabei genügend Optimismus für seine Arbeit im Hotel auf.
Das Wachsmuseum ist ganz in der Nähe des Paramount Hotels. An freien Tagen nimmt Finn gerne die Kids mit nach Dublin zum Besuch des Museums. Das ist in Wirklichkeit ein einziger Kinderspielplatz. Es gibt sogar eine Abteilung "Mechanical Men", wo kleine Roboter einen kleinen Menschen bauen. Jedesmal quieckst Amy protestierend, wenn sie den Arm auf dem Rücken festmachen, statt an der Schulter. Natürlich wird der Fehler sofort behoben und die Robo-Kids verbeugen sich höflich.
Bislang können Amy und Jamie tagsüber von der Kunststudentin Sinéad von nebenan betreut werden. Ihre Workshops finden immer erst am späten Nachmittag statt, und dann kann Sinn schon zuhause sein. Doch vor kurzem kündigte Sinéad an, dass sie demnächst in einer kleinen Galerie im Zentrum von Dublin arbeiten werde - tagsüber. Diese Nachricht löste nach erster Bestürzung eine dringliche Diskussion unter Finn und Sinn aus mit dem Ziel, eine Nachfolgelösung zu finden. Und es war letztendlich die Elektronikspezialistin Sinn, die den Vorschlag machte, bei der iRobot Corporation in Bedford, Massachusetts nach einem geeigneten Modell anzufragen.
"Finn", sagte sie an diesem Abend, "wir brauchen jemanden, der immer da ist!" Ihr hübsches Gesicht strahlte vor Zuversicht, und Finn, versunken in seinem Lieblingssessel, ließ sich von ihr einfangen. "Wenn du wüsstest, wie süß die kleinen iRobos sind. Sie kümmern sich um alles. Tag und Nacht". Finn seufzte: "Woher hast du denn das?" - "Aus der Firma. Wir hatten kürzlich eine Vorführung von iRobots für die neuen Reparaturroboter. Und da war auch ein iRobo dabei - nur so, er trollte ein bisschen herum und brachte uns Getränke. Ein nettes Kerlchen".
"Und da hast du gefragt, ob du ihn haben kannst?" sagte Finn. "Nein, damals wusste ich ja noch nicht, dass wir einen brauchen könnten" antwortete Sinn. "Aber -" sie zögerte und wurde ein wenig verlegen - "Ich habe schoon gefragt, ob man so einen iRobo auch zu Hause einsetzen könnte. Und dabei habe ich auch ein bisschen an die Kinder gedacht!". Sie lächelte Finn zu. Es war wie immer. Finn konnte ihr nicht widerstehen und wiligte ein mit den Worten: "Schön - aber nur, wenn die Kinder damit einverstanden sind. Wenn sie ihn als Spielkameraden akzeptieren, und wir sicher sein können, dass er sie immer gut behandelt und sie schützt und ..." - Sinn sprang auf, stürzte sich mit Indianergeheul auf Finn und umarmte ihn heftig (Finn mochte das sehr) ... dann ja".
Und so geschah es. Vier Wochen später, an einem Samstag - Sinéad hatte sich gerade von den Kindern unter allgemeinem Kindergeheul verabschiedet - wurde eine große Holzkiste angeliefert.
Gemeinsam schoben sie die schwere Kiste bis ins Wohnzimmer. Seitenteile und Deckel waren leicht zu entfernen und dann glänzte ein weißes Paket mit roter Schleife oben drauf vor ihren Augen. Finn öffnete das Paket und sagte zu den Kindern: "Amy und Jamie, passt gut auf. Hier kommt euer neuer Spielkamerad". Und schon arbeitete sich langsam aber stetig ein Kopf durch die innere, metallisch glänzende Folie, bis die Augen zu sehen waren, und hielt inne. Amy quieckste begeistert, während die Augen sie und Jamie und die Umgebung musterten. Der Kopf stieg ein wenig höher, und als der Mund zu sehen war, sagte er "Hallo!".
iRobo stieg behende aus dem Paket und ging um die Palette herum. Er war nicht sehr groß, gerademal so groß wie Jamie. Die Kinder waren jetzt ganz still, als iRobo vor ihnen stand, denn er ähnelte sehr einem der Nachbarjungen, Tyler, mit seiner grünen Latzhose und dem roten Pullover. Nur die Haarfarbe war anders, nämlich leicht grünlich. iRobo sagte: "Hi Amy, hi Jamie. Ich bin Robo. Wollen wir spielen?" Das war das Stichwort. Während Jamie nicht so recht wusste, was er von dem Auftritt des Jungen aus der Kiste halten sollte, war Amy gleich entflammt, fragte aber vorsichtshalber: "Was denn? Hast du ein Spiel?".
Das war der Beginn einer glücklichen Beziehung. Sinn brachte die drei ins Kinderzimmer. Die Frage, wo Robo schlafen sollte, stellte sich zunächst einmal nicht. Finn und Sinn setzten sich auf die Couch im Wohnzimmer und beratschlagten. Sinn band ihre langen blonden Haare zum Pferdeschwanz (immer ein Zeichen für eine bevorstehende 'ernsthafte' Unterhaltung) und lächelte Finn zu, der dabei war, zwei Gläser mit Whisky zu füllen. "Ich hoffe, sie vertragen sich", sagte sie, "Ab Montag sind sie alleine mit Robo!". "Aber ja", meinte Finn, "wir haben die Garantie von iRobot, dass Robo sich um alles kümmern wird. Er kann sogar das Essen machen". Sie hörten Stimmen und Gelächter aus dem Kinderzimmer. Finn nahm einen kräftigen Schluck und rückte näher zu Sinn. Er legte einen Arm um ihre Schultern und flüsterte in ihr Ohr: "Jetzt wo Robo da ist, haben wir doch mehr Zeit für uns, nicht wahr?" Sinn blickte verträumt in seine Augen und küsste ihn: "Jaaah...".
Alles lief gut. Die Eltern fuhren zur Arbeit, Robo kümmerte sich um die Kinder. Robo war schnell akzeptiert, vor allem, weil er so schlau war. Er konnte sogar Pommes Frittes (French Fries) machen aus Kartoffeln. Oft gab es kleine Wettbewerbe, zum Beispiel wer fünf Kartoffeln am schnellsten schälen und in längliche Blöcke schneiden konnte. Robo gewann meistens, aber manchmal verlor er auch. Jamie musterte ihn dann misstrauisch.
Robo brachte den beiden Lesen bei. Immer nach dem Mittagessen veranstaltete er die Lesestunde. Obwohl Jamie erst in einem Jahr in die Schule gehen sollte, und Amy erst in zwei Jahren, war das eine von deren Eltern gern gesehene Übung. Amy fragt Robo einmal, als er wie immer den Märchentext auf dem Display vorlas, bevor sie mit dem ersten Wort anfing, warum er so gut lesen könne. Wie auf alle Fragen hatte Robo auch dafür eine Antwort: "Ich kann es eben, einfach so". "Ach so", erwiderte Amy. Es gibt Dinge, die kann man nicht verstehen, das wusste sie genau.
Irgendwann holte Amy ihren kleinen Werkzeugkasten, den ihr Sinn zum vierten Geburtstag geschenkt hatte. Es war ihr Lieblingsspielzeug. Und sehr nützlich, denn damit konnte sie alles zerlegen, auch ihren Computer. Der funktionierte auch zerlegt! Alles, was Schrauben hatte, wurde zum Opfer ihrer akribischen Untersuchungen mit Schraubenzieher, Zange, und Schraubenschlüssel. Antriebsfeder waren nicht nur ihre kindliche Empörung über die Stümperhaftigkeit der Little Mechanical Men im Wachsmuseum, sondern auch die in ihr machtvoll wirkenden Gene ihrer Mutter. Amy fand in Robo einen Verbündeten, denn er half ihr bei den schwierigen Zerlegungsfällen. Vor allem brachte er ihr Respekt vor elektrischem Strom bei. Zur Demonstration fasste er in den entblechten und eingeschalteten Toaster, worauf Funken sprühten und Robos Kopf knisterte und rot erglühte. Robo riet Amy davon ab, eben das auch zu versuchen.
Nichts blieb unberührt. Jamie ließ das Auseinanderbauen seines Rennautos nur deshalb zu, weil er wusste, dass Amy es genauso gut wieder zusammenbauen konnte, wobei es danach ein wenig schneller fuhr - aber das schien er sich wahrscheinlich nur einzubilden. Als eines Tages auch Jamies Telephon in Einzelteilen auf dem Tisch lag (eine gute Gelegenheit, den übermüdeten Akkumulator auszutauschen, normalerweise) und nichts anderes mehr zu zerlegen war, richtete Amy das Wort an Robo: "Robo, du baust mich jetzt auseinander!" Sie zog ihr Hemd hoch und zeigte auf ihren Bauchnabel. "Da fängst du an!" Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, reichte sie Robo den langen Schraubenzieher mit der breiten Klinge. Dann legte sie sich flach auf den Boden und sagte: "Los, fang an".
Robo sah sie lange an und sagte schließlich: "Das kann ich nicht". Amy hob den Kopf und fixierte Robo: "Du sollst das machen. Du musst, hörst du?". Jamie sah ihn an und wunderte sich. "Das darf ich nicht!", fuhr Robo fort, "Ich könnte dich verletzen". "Papperlapapp - du kannst alles" ermahnte ihn Amy. "Los jetzt!".
Das war neu. Immer hatte Robo gehorcht, ob er einen Kopfstand machen sollte, oder das Kinderzimmer aufräumen (was er perfekt konnte), oder eine Spinnensuppe kochen (die dann keiner essen mochte). Jamie knuffte ihn. "Na los!". Robo bewegte sich nicht. "Okay", sagte Amy, "dann spielen wir mit dir". Keck warf sie einen direkten Blick auf Robos Schrauben. Schon gleich in den ersten Tagen waren ihr die an verschiedenen Stellen sichtbaren Schraubenköpfe und Muttern aufgefallen, doch sie behielt es sich bis dahin vor, nur so nebenbei darauf zu schielen. Aber jetzt war sie zu allem entschlossen.
"Setz dich hier hin!". Robo gehorchte, denn dagegen konnte er nichts einwenden. Jamie war wie immer beeindruckt von der Entschlossenheit seiner Schwester. Er beschloss, ihr zu helfen, und verschränkte Robos Arme hinter dessen Rücken. Amy rückte vor. In der rechten Hand den Schraubenzieher, in der linken Hand einen Schlüssel M10. "Kopf vor!" befahl sie. Robo neigte den Kopf nach vorne. Amy begann, die mittlere Schraube im Nacken herauszudrehen. Robo sagte leise: "Du wirst mich kaputtmachen. Das solltest du nicht". Aber er wehrte sich nicht. Im Gegenteil - je mehr Schrauben herausgedreht waren, desto steifer wurde er, ganz im Gegensatz zu seinem Kopf, der immer lockerer auf den Schultern saß.
In dem Moment, als Robos Kopf nach vorne kippte und Drähte im Nacken sichtbar wurden, stieß er einen langen Seufzer aus und klappte wie eine Puppe zusammen. "Amy - was machst du", rief Jamie, "Der Kopf ist ab!". Amy war nicht zu bremsen. "Guck mal". Sie drehte Robo mit einiger Kraftanstrengung auf den Bauch, knickte den Kopf ganz auf die Seite und spähte in die nun offene, mit einem Metallring eingefasste untere Kopfhälfte. Sie quiekste: "Uh, da sind noch mehr Schrauben!".
Mit wachsender Nervosität sah Jamie zu, wie Amy schraubte und schraubte - geradezu im Schraubrausch war. Eine Schraube mitsamt Unterlegscheibe nach der anderen fiel aus dem Kopf. Da bekam es Jamie mit der Angst zu tun und er rief seinen Vater Finn an. "Papaa - Amy macht Robo kaputt!". Finn begriff sofort, was sich im Kinderzimmer abspielen musste, denn er kannte Amys Hobby nur zu gut. "Bleib wo du bist. Ich komme", rief er ins Telephon.
Doch als Finn endlich ins Zimmer trat, lagen schon zu viele Teile um Robo herum. Unter anderem eine kleine silberne Platte mit vier Befestigungsbohrungen - die Abdeckung des Positronengehirn-Kompartements. Entsetzt musste Finn ansehen, wie eine ganz feine Rauchfahne aus Robos Kopf aufstieg. Ein schrecklicher Anblick. Nur Amy lächelte glücklich. "Papa, jetzt schraube ich die Arme ab".
Finn machte dem Spuk ein schnelles Ende. Er hob Amy hoch und drückte sie. "My dear Amy, you are a real mechanical girl! Aber jetzt wollen wir ganz lieb sein". "Kommt mit" sagte er zu Jamie und Amy, "wir gehen ein Eis essen". Unter wildem Geheul stürzen die Kinder aus dem Zimmer. Zurück blieb Robo - ganz allein, schwer verletzt, wenn nicht tot, auf dem Boden im Kinderzimmer, umgeben von Autos, Puppen, Eisenbahnen, Lego-Kosmodromen, Kinderdrohnen, Computern, Playern, Partykostümen, Pappnasen, Kuchenresten und zwei Kinderbüchern.
Wenige Tage später trafen die Spezialisten der Firma iRobot bei den Finns ein. Sie hatten gleich bei der ersten Kontaktaufnahme darum gebeten, nichts zu verändern und iRobo nicht anzurühren. Mike Olderby, groß und hager, leicht ergraut, Chef der Hirnentwicklung, und Suzanne Honeypot, groß und schlank, mittellanges blondes Haar, wache helle Augen, Chefin der Robo-Psychologie, betraten den Ort des Grauens. Suzanne musterte mit schnellem Blick das gesamte Zimmer, während Mike neben Robo niederkniete und seinen Computer aufklappte. Mit wenigen Handgriffen verband er die Diagnosebuchse, die dank Amys Vorarbeit frei zugänglich war, mit dem Datenkabel des Diagnosecomputers. Nach einer knappen Minute erschienen die ersten Meldungen auf dem Bildschirm.
"Tjaa - ", sagte Mike gedehnt, "Alle höheren Programme stehen still. Die Uhr geht noch, und es fließen einige Datenströme hin und her." Mike fuhr fort: "Ich denke, ich werde mal das Wiederbelebungsprogramm starten".
Minuten des Wartens vergingen, in denen Sinn Kaffee und Kekse brachte und mit sorgenvoller Miene den Tatort überblickte. Finn hatte sich auf die Couch gesetzt und hielt sich für mögliche Fragen bereit. Robo regte sich nicht. Noch immer lag er in der unmöglichen Körperhaltung einer aus der Luft gefallenen Gliederpuppe auf dem Boden. Der Kopf abgetrennt von den Schultern, nur über Kabelstränge mit dem Rumpf verbunden, der Organismus in Kontakt mit dem pulsierenden Wiederbelebungscode. Beide, Suzanne und Mike, starrten auf das Display. Es kam jetzt eine negative Meldung nach der anderen herein. Das Kleinhirn reagierte nur auf wenige Anfragen, das Großhirn blieb stumm. Mike begann, Statusreports aller wichtigen Programmsegmente abzurufen. Suzanne unterstützte ihn, indem sie Programme benannte, von denen sie Hinweise zum Tathergang und zu Robos Verhalten erhoffte. Dazu gehörte vor allem das Activity-Balancer-Programm (ABP), das Entscheidungen auf der Basis der drei Robotergesetze generiert oder vorbereitet. Und was Sarah von diesem erfuhr, war entsetzlich: alle drei Activity-Flags waren gesetzt und leuchteten rot.
Suzanne stand auf. Sie war entsetzlich blass. Eine Haarsträhne hing ihr über das Gesicht. Sie murmelte vor sich hin ..."Noch nie vorgekommen ... alle drei ... was nun ... oh me good". Sie zog Mike zu sich hoch und wandte sich dabei an Finn: "Wir müssen uns besprechen". "Okay", sagte Finn, "lasst uns in den Salon gehen".
Im Salon brannte ein Feuer im Kamin. Es knisterte und warf seinen warmen Schein ins Zimmer. Finn, Sinn, und die beiden iRobot-Spezialisten ließen sich am Esstisch nieder. Die Kinder kauerten am Kamin und blickten mit großen Augen auf die Versammlung. Die angespannten Gesichter der Erwachsenen spiegelten sich auf der polierten Oberfläche des Mahagoni-(Imitat)-Tisches. Sinn zündete eine Kerze an. Sie war sehr gespannt.
"Nun denn", begann Suzanne, "Ich muss zugeben - ich bin schockiert. Noch nie gab es bei einem unserer Roboter einen solchen Totalausfall, genauer gesagt, die Blockade aller wichtigen Gehirnfunktionen". Mike räusperte sich und stimmte zu. Finn warf ein: "Amy hat doch bestimmt nicht das Gehirn zerstört, oder?". Darauf Mike: "In gewisser Weise schon. Sie verursachte einen Kurzschluss in den primären Leiterbahnen". Vom Kamin ertönte ein Schluchzen. "Leider ist das Positronengehirn nicht mehr zu reparieren. Aber das ist nicht das Problem, das uns Kummer bereitet, nicht wahr Suzanne?".
"So ist es", nahm die Chefin der Robo-Psychologie den Faden wieder auf. "Viel schlimmer als der Hardwareausfall ist die unerklärliche Reaktion von iRobo. Er hat alle drei Gesetze duchlaufen und sich dann selbst schachmatt gesetzt. Näher betrachtet könnte es sich um einen Gesetzeskonflikt handeln, vielleicht in Zusammenhang mit dem speziell assoziierten child-enforcement-Code". Alle sahen Suzanne fragend an. Sinn sagte unsicher: "Ist das etwas schlimmes? Ich meine, könnten Sie das erklären, so dass wir es verstehen?"
"Quite!" Suzanne sah Mike an. Dieser nickte.
"Generell muss jeder Roboter drei Gesetze beachten. Diese sind fest und unveränderlich in seinem Gehirn verdrahtet. Das Erste: Ein Roboter darf keinem Menschen schaden oder durch Untätigkeit einen Schaden an Menschen zulassen. Das Zweite: Ein Roboter muss jeden von einem Menschen gegebenen Befehl ausführen, aber nur, wenn dabei das erste Gesetz nicht gebrochen wird. Das Dritte: Ein Roboter muss seine eigene Existenz bewahren, es sei denn, dies spricht gegen das erste oder zweite Gesetz".
Suzanne fuhr fort: "Als Amy Robo aufforderte, sie aufzuschrauben, musste sich Robo diesem Befehl widersetzen, das heißt, ihn nicht ausführen, da klar war, dass er damit die kleine Amy verletzen würde. Er handelte korrekt im Sinne des Ersten und des Zweiten Gesetzes. Doch nun sollte er selbst zerlegt, das heißt verletzt werden. Entsprechend dem Dritten Gesetz hätte er sich dagegen wehren müssen, natürlich nur auf eine Weise, die das Erste Gesetz nicht verletzt hätte. Ich vermute, dass in diesem Moment die Kind-Zusatzprogrammierung das Dritte Gesetz außer Kraft setzte". Alle am Tisch waren ganz still. Amy saß inzwischen bei ihrer Mutter auf dem Schoß und Jamie stand bei seinem Vater. Die Kinder starrten die Psychologin erwartungsvoll an.
"Ich habe selbst das Grundschema für das Kindprogramm entworfen", gab sie zu. "Es stellt ein Kind unter besonderen Schutz. Anders als bei Erwachsenen lässt es nicht zu, dass ein Kind enttäuscht wird. Ein Kind muss immer, besonders von einem iRobo, glücklich gemacht werden. Als Robo Amy nicht zerlegen wollte, war sie sicherlich unglücklich, doch in diesem Moment überwog das stärkste, das Erste Gesetz! (Zum Glück!) Als Amy daran ging, Robo zu zerlegen, war ganz offensichtlich das Kindprogramm stärker als das Dritte Gesetz. Dass das aber so weit geht wie in diesem Fall, dass ein iRobo deshalb seine eigene Existenz aufgibt, das hatte ich nicht vorhergesehen". Tränen traten in Suzannes Augen und ihre Stimme stockte. "Er hat sich für Amy geopfert!". Mit einem weißen Taschentuch tupfte sie die Tränen auf ihren Wangen weg. Amy eilte ans andere Tischende und legte ihre Ärmchen um Suzannes Hals. "Ich hole Getränke", sagte Sinn.
Als vier Gläser mit bestem Tullamore gefüllt, ein Toast gesprochen, und die Kinder mit Saft ins Kinderzimmer verschwunden waren, erkundigte sich Finn nun doch nach den Folgerungen aus dem geschilderten Ablauf. Mike gab darauf diese Erklärung: "Nach allem, was wir bisher wissen, sind die Speichereinheiten durch eine explosionsartige Simulation möglicher Auswege aus der Konfliktsituation überlastet und dadurch überhitzt worden. Daraufhin startete ein Notprogramm, das alle weiteren Aktivitäten unterband und Robo stilllegte. Daher auch die plötzliche Starre, unmittelbar gefolgt von der Deaktivierung des gesamten motorischen Apparates. Das heißt, er brach zusammen".
Suzanne ergänzte: "Grundsätzlich stimme ich zu. Die Details werden wir später analysieren. Fest steht, dass viel Arbeit vor uns liegt, denn so etwas darf sich nicht wiederholen. Wahrscheinlich müssen wir das Kindprogramm modifizieren - der Himmel weiß, in welche Richtung".
Finn brachte einen Toast aus. Alle waren erleichtert, denn der Fall war so gut wie geklärt, auch wenn bei iRobot Company Nachtschicht angesagt war angesichts weiterer über zweihundert iRobos im Feld. Und dann die gute Nachricht. Mike verkündete: "Wir als iRobot Company nehmen den Schaden auf uns. Robo nehmen wir gleich mit. In Kürze wird ein neuer Roboter bei Ihnen eintreffen, ohne Kosten für Sie. Es wird ein anderer Typ sein. Man könnte sagen, er wird nicht ganz so intelligent wie Robo sein. Dafür aber der perfekte Spielkamerad! - Ob er kochen kann? Ich bin mir nicht sicher". "Nicht unbedingt", sagte Suzanne, "Er ist aus der Buddy-Serie. Das sind Kind-Roboter, die alle Spiele können. Das Dritte Gesetz ist für sie abgeschwächt, so dass sie eigentlich gar keinen Schaden nehmen können - theoretisch". Finn und Sinn sahen sich an. Mike, der ihnen die Frage ansah, sagte ergänzend: "Buddies sind gute Babysitter, kein Sorge. Sie filmen und speichern ständig alles und stehen über ihren eingebauten Kommunikator ständig in Verbindung mit Ihnen. Sie können zusehen, wo immer Sie sind. Außerdem können Sie mit ihm reden, das heißt er antwortet auf Ihre Fragen, ohne dass es jemand in seiner Umgebung wahrnimmt".
Die ganze Familie sah zu, wie der schlaffe Robo im iRobot-Lieferwagen verstaut wurde. Händeschütteln, Küsschen für Amy, gute Wünsche, Winken - und fort waren sie. Finn ging in die Hocke und fasste Amy bei den Armen: "Meine liebe Amy, versprichst du mir, dass du einen Robofreund nie mehr aufschrauben wirst?" Er sah sie ernst an. Amy blickte durch ihn hindurch in die Ferne. "Mmmh - ich glaube - ja!".
Heute sorgt Bud für die Kinder, spielt mit ihnen (auch Fußball!), holt Sandwiches aus dem Kühlschrank, bringt sie abends ins Bett und erzählt ihnen eine Gutenachtgeschichte. Sinn bei Ryanair ist sehr zufrieden, denn während sie die Navigationsbox aufschraubt, kann sie die Kinder auf ihrem Armbanduhr-Display sehen. Und Finn spricht manchmal mit Bud, wenn er sein Lunch bei Guiness nimmt. Eigentlich nur aus Langeweile, denn Bud erzählt ihm oftmals einen neuen Witz.
Und Amy? Amy ist jetzt schon 8. Sie hat schon vor längerer Zeit aufgehört zu schrauben. Eigentlich gibt es auch nichts mehr zu schrauben. Viel interessanter ist ihr Papagei Lori. Sie hat Bud dazu gebracht, Lori das Sprechen beizubringen. So verbringen die beiden Stunden zusammen. Amy gibt ihnen jeden Tag ein neues Wort. Manchmal stehen die Wörter in Beziehung zueinander und bilden einen Satz. Beim Abendessen nimmt Lori Platz auf der Stehlampe hinter Amys Stuhl. Und wenn Sinn Spinat in Amys Teller füllt, krächzt Lori: "Ich mag keinen Spinat". Auch Tiere können, genauso wie Roboter, dienstbare Geister sein.
Nachtrag:
Schon 1939 verwendete Isaac Asimov in seinen ersten Robotergeschichten das Konzept der Gewaltlosigkeit von Robotern gegenüber den Menschen. Im Jahr darauf formulierten Asimov und John Campbell, Herausgeber des Magazins 'Astounding Science Fiction', gemeinsam die drei Robotergesetze.
(siehe in: Isaac Asimov's Robot City (1987))
Die iRobot Corporation ist bekannt für Staubsauger-Roboter (die flachen Scheiben, die auf dem Fußboden herumrobben und saugen), aber weniger für ihre Kampfroboter. Einer davon: Der iRobot 510 PackBot ist einer der erfolgreichsten kampferprobten Roboter weltweit und bietet seinen Nutzern einen modularen, erweiterbaren und robusten Roboter für Bombenentschärfung, Aufklärungs- und Überwachungsmissionen und für eine Vielzahl anderer gefährlicher Einsätze, welche nun keine Menschen mehr gefährden müssen. Während der Entwicklung der iRobo-Humanoid-Serie wurde ein spezielles Positronengehirn implementiert. Damit sind alle iRobos menschenähnlich bezüglich ihres normalen Verhaltens. Natürlich übersteigt ihre Leistungsfähigkeit bei Reaktion, Logik, Kraft bei weitem die des Menschen. iRobos als Spielkameraden sind mit einem Kind-Programm ausgestattet. Dahinter steht aber immer das Universalprogramm, so dass in Notfällen jederzeit die volle Leistung zur Verfügung steht.