Ewig
8.4.2014
"Das dauert ja ewig!"
Die Klage der Schlange. Der Schlange vor dem Bankschalter, dem Bäckertresen, dem Ticketverkaufshäuschen, der Kasse.
Statistisch dauert die Ewigkeit in der Schlange im Mittel zehn Minuten. Tatsächlich aber dauert die Ewigkeit ewig! Ein anderer Begriff liegt uns näher: unendlich. Damit verbindet sich die Vorstellung von "sehr große Entfernung", die zu überwinden "ewig" dauert. Zeit und Raum vermischen sich, kein Wunder bei der fundamentalen Unfähigkeit, Entfernungen und Zeiten, die über das Erlebte und Vorstellbare unfassbar weit hinausgehen, zu begreifen.
Dabei ist es so einfach. Es genügt doch, sich zu gegenwärtigen, dass ein Ziel, das unendlich weit weg liegt, nie erreicht werden kann. Doch der Mensch lebt von der Hoffnung. Und somit auch von dem Glauben, dass man der Unendlichkeit ein Stück näher kommt, wenn man nur weit genug geht. Oder dass ein Stück der Ewigkeit nach einer langen Zeit vergangen sein wird.
Mathematisch gilt: ∞ / x = ∞ (x ist eine beliebige Zahl).
Das heißt, jedes beliebig große Teil von unendlich oder ewig ist unendlich oder ewig. Ist das nicht unheimlich frustrierend?
So viel zur Vorbereitung höherer Gedanken, wie im folgenden ausgebreitet:
Es gibt ein Wesen auf dieser Welt, das Erfahrung hat mit der Ewigkeit. Das ist die Seele, die bekanntlich unsterblich ist. Die Seele wird im Moment des Todes geboren. Sie entfleucht dem Körper und betrachtet diesen aus der Höhe. Das wissen wir von Nahtod-Berichten. Demnach sehen die Nahtoten sich selbst von oben, meist in einem Operationssaal. Die Schulmedizin holt sie allerdings wieder ins Leben zurück.
Im finalen Fall ist die Seele jedoch ab ihrer Geburt auf sich selbst gestellt. Recht schnell stellt sie fest, dass sie nicht alleine ist, im Gegenteil. Es sind sehr viele. Da Seelen ewig leben, haben sich seit Beginn der Menschheit sehr sehr viele angesammelt. Wie viele das sind ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.
Wir wollen eine Grundannahme treffen: eine Seele hält sich dort auf, wo sie auch als Mensch ein Dasein fristen könnte, nämlich innerhalb der Lufthülle bis zu einer Höhe von 4 Kilometern über der Erde und über der Landmasse der Erde. Die Landmasse beträgt 29% der Erdoberfläche. Unter diesen Prämissen steht der Seele und allen Seelen insgesamt ein Lebensraum von rund 600 Millionen Kubikkilometern zur Verfügung.
Wie viele Seelen leben heute in diesem Raum? Nun, rechnen wir für den Zeitraum von 4000 BC bis heute, dann sind es 67 Milliarden. Dieser Wert beruht auf der Feststellung, dass die gesamte Menschheit alle 80 Jahre ausstirbt und dadurch eine der aktuellen Weltbevölkerungszahl entsprechende Anzahl von Seelen erzeugt.
Wie geht die Entwicklung weiter? Bei einem Bevölkerungswachstum von 0,8% verdoppelt sich die Weltbevölkerung in 100 Jahren. Wir haben diesen konservativen Wachstumswert genommen und soziopolitische Entwicklungen einbezogen und kommen zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2400 rund 100 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Von da an bleibt die Bevölkerungszahl konstant (im Mittel über größere Zeiträume), bedingt durch die üblichen Dezimierungsfaktoren Hungersnöte, Seuchen, Kriege. Vor diesem Hintergrund können wir uns mit den restlichen 10 Millionen Jahren der Menschheit befassen.
Innerhalb von 10 Millionen Jahren wiederholt sich die 80-Jahr-Priode 125.000mal. Das ergibt dann am Ende von 10 Millionen Jahren ziemlich genau 125.000 x 100 Milliarden = 12,5 Millionen Milliarden Seelen. (Die bis heute aufgelaufenen Seelenzahl von 67 Milliarden ist davon nur 0,0005%, also vernachlässigbar).
Während eine Seele heute ihren eigenen ganz privaten Lebensraum von 9 Millionen Kubikmetern besitzt (also etwas mehr als 200 x 200 x 200 Meter), ist ihr Lebensraum in 10 Millionen Jahren auf nur noch 48 Kubikmeter geschrumpft. Das ist eine Raum von 4 x 4 x 3 Metern Kantenlänge, also ein kleines Zimmer mit 16 qm Grundfläche und 300 cm Deckenhöhe. Da eine Seele ihren Raum nicht verlassen kann, hat das kleine Zimmer die Anmutung einer Gefängniszelle.
Erschwerend kommt hinzu, dass die menschlichen Seelen aller Wahrscheinlichkeit nach von Seelen ehemals krabbelnder, hüpfender, kriechender, fliegender, schleimspurhinterlassender Wesen belästigt werden, denn auch Tiere haben eine Seele (nimmt man an). Es wird also unbeschreiblich ungemütlich in der kleinen Zelle sein.
Deshalb ist zu vermuten, dass es den Seelen schon gut 500.00 Jahre vor dem Ende der Menschheit einfach zuviel wurde. Eine Seele nach der anderen freundete sich mit dem Gedanken an (in der Zukunft), das ständige Wachsen der Seelenbevölkerung zu beenden. Und so ergab es sich (in der Zukunft), dass die Seelen in Form von Gespenstern und ähnlichem das allmähliche Aussterben der Menschen bewirkten.
So kam es bzw. wird es kommen, dass der Mensch nach einer Zeitspanne, die gerade mal ein Siebtel der Regentschaft der Dinosaurier ausmacht, aufhört zu existieren. Natürlich leben die 12,5 Millionen Milliarden Seelen weiter, schließlich sind sie unsterblich. Sie leben in einem Zustand, den man das Fegefeuer nennt.
Das geht so einige wenige Milliarden Jahre weiter. Die Langeweile ist unbeschreiblich, da es keine Menschen mehr zu beobachten gibt. Die sechs- und achtbeinigen und garkeinebeinigen Seelen werden immer mehr, da ihre Erzeuger ja nicht ausgestorben sind. Wenn man nun meint, mehr Qual gibt es nicht, sollte man die Hölle in Betracht ziehen. Tatsächlich kommt es bei der Explosion der Sonne (Supernova) zum ziemlich heißen Untergang der Erde und des ganzen Sonnensystems. Danach ist alles kalt und leer. Wohlgemerkt: das Ganze zieht sich über Millionen Jahre hin, doch das ist nichts im Rahmen der Ewigkeit. Für die 12,5 Millionen Milliarden Seelen ist das alles fürchterlich. Da die Erde keine Lufthülle mehr hat (und auch die Schwerkraft ist nicht mehr die alte), könnten sich die Seelen anderswohin orientieren. Doch den meisten fehlen die astronomischen Grundkenntnisse.
Letztendlich ist es auch egal. Da das Universum selbst rasend schnell expandiert, wird es immer leerer und kälter. Die Seelen, befreit aus ihren irdischen Gefängniszellen, sind nun wirklich frei. Man muss sich die Ewigkeit, der die Seelen entgegensehen, so vorstellen: es ist dunkel und eiskalt. Da alle Sonnen erkaltet sind, gibt es kein Licht und deshalb auch keine Temperatur mehr. Eine Ende ist nicht abzusehen.
Wir sollten nicht an die Zukunft denken, sondern an das Hier und Heute. Die Sonne scheint warm ins Gesicht (noch!) (NEIN, nicht schon wieder so denken!). Also: die Vögel zwitschern und heute Abend grillen wir. Morgen gehen wir mit den Kleinen in den Zoo und gucken, wie die Löwenbabies sich balgen. Und dann geniessen wir den vegetarischen Zooburger. Nächste Woche fahren wir nach Skagen, wo die Nordsee auf die Ostsee trifft. Uns geht es doch gut...