Lustmord

17.1.2015

Millionen Deutsche haben Lust an Mord und sehen sich deshalb den "Tatort" an. Viele sogar regelmäßig.

Während vor wenigen Jahrzehnten der Kriminalfilm ein Ratespiel für Jung und Alt war, ist er heute eine Leichenschau (Nahaufnahme / Zoom) für Alt. Jung hat andere Quellen für das alltägliche Grauen.

Es ist schwer zu verstehen, warum Alt - und bestimmte mediensüchtige Prominente - sich mit den Darbietungen des öffentlichen wie auch des privaten Fernsehens zufrieden geben. Denn es gibt im Fernsehen eine gewisse Grenze für die Darstellung des Tötens. Menschen wurden schon immer im Film erschossen. Heute kann man dazu auch die Schusswunde, jede Menge Blut, recht maltraitierte Körper, meist nackt (und weiblich), und andere Details betrachten.

Doch was dem Fernsehen abgeht ist die "Hinrichtung". Die gibt es seit einigen Jahren im Internet. Es betrifft Laiendarsteller und ist somit viel authentischer als die künstlichen Szenen im Film. Jahrhunderte mussten vergehen, bis endlich wieder die Gräueltaten der herrschenden Männer tabufrei konsumiert werden können. Ganz früher versammelten sich die Menschen auf dem großen Platz und besichtigten mit großer Lust die Frauen-(Hexen-)Verbrennung. Etwas später folgte das Spektakel der massenweisen Trennung von Kopf und Leib in Paris.

Mord

Kennzeichnend für das Grauen der vergangenen Jahrhunderte war die geringe Reichweite. Immer waren nur relativ wenige Zuschauer zugegen, so an die hundert oder auch mal einige tausend. Diese mussten vor Ort sein, bei jedem Wetter und oft nachts.

Der Fortschritt und der Zustand heute lässt sich in zwei Prinzipien zusammenfassen:

- das Grauen ist weltweit und wird von vielen Millionen Menschen perzipiert
- diese Menschen müssen nicht mehr vor Ort sein, sondern erschauern von zuhause aus

Wie konnte es zu diesem Komfort kommen?

Zweihundert Jahre lang haben Wissenschaftler und Ingenieure daran gearbeitet! Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute widmeten sie sich unter Einsatz ihres gesamten Lebens dieser großen Aufgabe. Mit Erfolg. Den größten Schub gab es mit der Errichtung des Internets, weil erst dadurch die weltweite und unmittelbare Verbreitung des Grauens möglich wurde. Zuvor waren über viele Jahrzehnte die Grundlagen für die Herstellung von Filmen sowie deren Verbreitung über Satelliten geschaffen worden.

Es ist also ein zivilisatorischer Quantensprung - das 24/7 Dabeisein und Zugucken, vom Sofa aus. Natürlich ist immer ein gewisses Maß an Ablehnung von Gräueltaten vorhanden, doch man kann ja nichts dagegen tun, so ist eben die Welt. Und man muss eigentlich immer informiert sein.

Der lange Weg

Irgendwann, und das ziemlich schnell, tritt ein Gewöhnungseffekt auf. Zukunftsszenarien sagen den Katastrophen-TV-Kanal voraus, aber auch die Live-Folter. Irgendwie müssen die Jahre überbrückt werden, bis die Wissenschaftler und Ingenieure ein neues Setting geschaffen haben.

Es wird schon seit einiger Zeit an der genetischen Manipulation des menschlichen Erbguts gearbeitet. Das vorwiegend in Ländern, die ihre wissenschaftlichen Arbeiten besser vor der Presse verbergen können als andere, zum Beispiel europäische Länder. Das Ziel ist die Schaffung des beliebigen Menschen. Man kann sich da vorstellen: Menschen mit zwei Köpfen, nur einem Auge (Zyklop), drei Beinen, ohne Ohren, ohne Haare (man denke an die nackte Labormaus), sechs Fingern, ohne Hirn, usw. Klonen sowieso.

Ganz früher wurden missgebildete Menschen auf dem Jahrmarkt ausgestellt. Für wenige Silberpfennige Eintritt konnte man sie bestaunen. Das war in der Zeit, als selbst ein Prophet das Fernsehen nicht vorhersehen konnte. Also war die Darbietung der entstellten Menschengestalt damals immer ein lokales Ereignis.

Ganz anders in naher Zukunft. Weltumspannend können die neuesten Kreationen der Genindustrie bestaunt werden. On-Demand-Kreation ist schwierig, da auch die menschähnlichen Wesen heranwachsen müssen, und das dauert. Die Adoption von Monstern wird zu einem großen Geschäft, zum Beispiel von Babies, die immer Babies bleiben (das Mustergen heißt "Antigrowth Beta").

The show must go on. Der Internetzirkus macht all das möglich, wovon der Mensch träumt - auf seinem Sofa.