Nichts

Nichts

16.6.2022

Dem Titel dieses Hinweises folgend müsste hier nichts stehen. Gar nichts. Eine leere Seite, oder auch mehrere leere Seiten.

Dass das Nichts aber doch etwas greifbares ist, wird in vielen alltäglichen Situationen klar. Da sagt eines zum anderen voller mitfühlendem Interesse: "Iss was?", worauf das andere sagt: "Nix iss". Das heißt, dass das Nix, das Nichts an die Stelle von etwas getreten ist, das vorher da war. Insofern ist das Nichts substantiell. Der Ausruf "Nichts im Kühlschrank!" verweist dagegen auf die Abwesenheit von Etwas. Die gähnende Leere des Weltraums ist die Verkörperung des Nichts. Da ist einfach nichts, abgesehen von einigen "Himmelskörpern".

Kaum jemand weiß so viel über das Nichts wie Stanislaw Lem. Er hat sich oft damit beschäftigt, und dabei sehr gerne auch mit der Nicht-Existenz von Drachen.

Bekanntlich gibt es keine Drachen. Einem simplen Verstand mag diese primitive Feststellung vielleicht genügen, nicht aber der Wissenschaft, denn die Neantische Hochschule befasst sich überhaupt nicht mit dem, was existiert.

Es gibt drei Arten von Drachen: Nulldrachen, imaginäre und negative Drachen, Es existieren, wie gesagt, alle nicht, aber jede Gattung auf eine besondere und grundverschiedene Weise. Die imaginären und die Nulldrachen, Einbilder und Nuller von Fachleuten genannt, existieren auf eine viel weniger interessante Weise nicht als die negativen Drachen.

Die Erfinder Trurl und Klapauzius wandten zum erstenmal die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf diesem Gebiet an und schufen damit die probabilistische Drakologie (Drachenlehre), aus der hervorgeht, dass ein Drache thermodynamisch nur im statistischen Sinne unmöglich sei. Er zeichnet sich vor allem durch eine im allgemeinen recht beträchtliche Wahrscheinlichkeit aus, wenn er erst einmal entstanden ist. Die einzig verlässliche Liquidationsmethode ist die Reduktion der Wahrscheinlichkeit auf Null oder gar negative Werte.

Ein virtueller Drache existiert zwar nicht, würde ein naiver Durchschnittsmensch sagen, d.h., er kann in keiner Weise wahrgenommen werden, wie er auch nichts unternimmt, was seine Offenbarung hervorriefe, jedoch die von Kyber-Trurl-Klapauzius-Minog angestellte Berechnung, namentlich die Drako-Wellen-Gleichung, lässt deutlich erkennen, dass ein Drache aus dem konfigurativen Raum leichter in den realen Raum hinüberzuwechseln vermag als ein Kind aus dem Haus in die Schule.

Aus all dem ist inzwischen jedem oder jeder klar geworden, dass die Nicht-Existenz keinesfalls gleichzusetzen ist mit dem Nichts, denn etwas nicht existierendes weist ja geradezu auf das Etwas hin, während Nichts keinerlei Bezug hat. Insofern ist das Nichts die reinste Wesensform in diesem Universum.

Manch einer oder eine möchte diese reinste Wesensform kennenlernen. Viele versuchen, in Trance der Welt zu entfliehen (geistig), um sich von den Vorstellungen materieller Objekte zu befreien, und um in die totale Leere einzutauchen. Das ist allerdings ein Irrweg. Leere ist nicht gleich Nichts. Die Leere ist ja nur deshalb leer, weil ihr etwas fehlt. Das Nichts dagegen ist absolut und braucht nichts.

Die Frage ist nun, wozu braucht man das Nichts? Garnicht, denn es ist überall. Zwischen den Atomen und den Quarks treibt es sich herum, und das Weltall ist voll davon. Der perfekte Zustand ist in einigen hundert Milliarden Jahren erreicht. Alle Energie ist erlöscht und die Materie hat sich zerrieben. Das Universum ist tatsächlich vollständig leer und da dieser Zustand unumkehrbar ist, kann die Leere zum ersten Mal gleichgesetzt werden mit dem Nichts.

Trotz dieser Verheißung gilt es, im täglichen Leben ohne das Nichts auszukommen, denn von nichts kann man schlecht leben. Insofern ist das Nichts irrelevant und muss nicht erörtert werden. 'Tschuldigung!

Quellen:

Stanislaw Lem (): Der Weiße Tod. Gesammelte Robotermärchen. Die Dritte Reise oder Von den Drachen der Wahrscheinlichkeit.
http://p-domain.de/hinweise/stanislaw-lem.html