Steinzeit

23.5.2015

Viele Menschen liebäugeln mit der Steinzeit, denn dort war vieles besser als heute: keine Autoabgase, kein Facebook, keine Flugzeugabstürze, gesundes Essen. Gerade die Ernährungsweise der Steinzeitmenschen beeindruckt viele. Unsere fernen Vorfahren waren Jäger und Sammler. Natürlich gibt es solche auch in unserer Zeit, zum Beispiel Großwildjäger oder Briefmarkensammler. Aber ihnen geht es um sinnvolle Freizeitbeschäftigung und nicht ums Überleben.

Ganz anders vor zwei Millionen Jahren. Mit der Landwirtschaft gaben sich die Menschen damals nicht ab. Sie jagten und sammelten alles Essbare in ihrer Reichweite. Also Wildschweine, Hirsche, Mammuts, Hasen, Fische, Pilze, Nüsse, Äpfel, Beeren. Trotz kleinerem Gehirn und geringfügig anderem Aussehen im Vergleich zu heute gelang es ihnen auch noch zusätzlich, den Bienen den Honig und den Wildhühnern die Eier zu entwenden.

Kurzum: diese natürliche Lebensweise, die über zwei Millionen Jahre anhielt, beruhte auf dem Nahrungsangebot der Natur. Nichts ist also unnatürlicher als ein Supermarkt. Man kann zwar einsammeln in einem Supermarkt, aber kaum jagen. Diese Erkenntnis ist erschütternd und trivial zugleich und weist den Weg für die Steinzeitjünger.

Sie sind der festen Überzeugung, dass sich die menschgerechte Ernährung ausschließlich an den Verhältnissen in der Steinzeit, noch besser der Altsteinzeit, orientieren sollte. Man muss nicht unbedingt Jäger und Sammler zugleich sein. Der eine sammelt nur, zum Beispiel die Eier aus dem Hühnerhof des Nachbarn, der andere erlegt Fasane im Freizeitpark Wiesenhof, was in beiden Fällen strafbar ist. In Deutschland gehört alles jemandem. Deshalb gestaltet sich das Leben als Steinzeitmensch sehr schwierig. Selbst die schwarzen Beeren an den Brombeersträuchern entlang des Feldes gehören dem Bauern. Nicht wenige der heutigen Steinzeitmenschen sind in psychologischer Behandlung oder sitzen ihre Strafe wegen unerlaubten Jagens (und Sammelns) ab.

Überlegungen, für die Paläolithiker, wie sich die Steinzeitmenschen selbst nennen, ein eigenes Reservat zu schaffen, zum Beispiel in einem der ausgedehnten ehemaligen militärischen Manövergebieten bei Berlin, scheiterten daran, dass diese Gebiete zu Naturschutzgebieten erklärt wurden, so dass dort zwar die Sauen und Beeren leben dürfen, nicht aber die Paläolithiker.

Die Einsicht, dass wir nicht mehr in der Steinzeit leben, ist für die heutigen Steinzeitmenschen keine Option. Angesichts der widrigen Umstände speziell in Deutschland nehmen sie jedoch - um zu überleben - das Angebot spezialisierter Restaurationen an, so in Hamburg das des PALEDO. (Nicht angesagt ist dort der Auftritt im Bärenfell mit der Tigerzahnkette um den Hals). Woher diese Gaststätte ihre Grundstoffe her hat, wo sie sie gejagt und gesammelt hat, das ist nicht bekannt und bleibt ihr Geheimnis.